Halleluja,
die GHEC ist vorbei! Welche Erinnerung mag geweckt werden, wenn sie im
Nachhinein erwähnt wird? Nun, manche Menschen werden sie bereits im
Vorfeld als Hoffnungsträger behalten; andere werden sich an den großen
Wirbel erinnern, an den diese Initiative gebunden war. Ohne dies zu
beurteilen zu haben, will ich als kritischer Beobachter der GHEC und auf
der Grundlage meiner gewonnenen Erfahrungen im Nachhinein einige
Anmerkungen anbringen. Mir scheint, daß nicht allein die offene Frage
berührt wird: was soll und kann nun in Deutschland geschehen im
Zusammenhang mit dem selbstverständlichen Recht der Person, frei sich zu
bilden? Ich denke, daß über die ethische Fragestellung hinaus auch die
Wesenheit dieses Blogs erörtert werden darf!
Vorab: Weder fühle ich
mich dazu berufen noch sehe ich mandatiert, die Autorinnen und Autoren
der Beiträge dieses Blogs zu vertreten, gar zu verteidigen. Aus meiner
langjährigen Erfahrung will ich aber das Besondere, ja die
Ausnahmeerscheinung dieser Plattform hervorheben, auf welcher kritische
Analysen und Ausführungen publiziert wurden, die ansonsten kaum
thematisiert werden: Ist es nicht bedauerlich, wie oft in einer
schnellebigen Welt soviel schlicht nur deshalb unhinterfragt hingenommen
wird, weil es auf Anhieb nett „klingt“? Gewiß handelt es sich bei den
zwischengenerationellen Beziehungen und insbesondere bei den
spannungsreichen Problemen der – sowohl staatlichen wie familiär
aufgezwungenen – Beschulung um einen hochsensiblen Bereich! Ob nun die
hier vorgebrachten Ausführungen, so manche Positionen und viele
Antworten wirklich (und wirkend!) für Klarheit zu sorgen vermochten?
Oder kann es sein, daß trotz der hier gebotenen größten Vorsicht die
Ausführungen im Gegenteil zu einer Verunsicherung führten? Kurz: ob sich
jemand angeregt und angesprochen gefühlt – oder sich eher aufgeregt
hat, ist eine Frage, die jeder Mensch für sich beantworten möge, wobei
eben diese Antwort folgenreich ist!
Diese Plattform hat viel
Zustimmung gefunden: zahlreiche Menschen aus den verschiedensten
Bereichen haben außerhalb der Blog-Kommentare Freude und Dankbarkeit
gezeigt. Insofern sollte die unübersehbare Empörung über die hier
vorgetragene GHEC-Kritik nicht zur Schlußfolgerung verleiten, den
Blog-Autorinnen und Autoren sei nur ein eisiger Wind entgegengeweht.
Angesichts der zustimmenden Meinungen wäre es naheliegend, jene
kritischen Stimmen schlicht zu ignorieren und sich damit zu
beweihräuchern, daß ihre Heftigkeit geradezu die Triftigkeit der
Ausführungen bestätigen würde, folglich wäre solche Virulenz eine Ehre
für diesen Blog! Dieser möglichen, selbstgerechten Position will ich
begegnen mit dem Versuch einer Reflektion über den Anlaß dieser
Kritiker. Könnte es sein, so meine Überlegung, daß jene „Empörten“
überhaupt nicht wissen, worum es den Kritikern ging – weil sie dies auch
nicht wissen wollen? Könnte es sein, daß das Motiv jener „Empörten“,
die andere wegen ihrer nüchternen, sachlichen Kritik angreifen und
beschmutzen, nicht etwa ihr Mangel an Wissen ist, sondern ein Mangel an
Bereitschaft zur Reflektion? Soll etwa die Annahme, hier werde zwischen
bestimmten Personen lediglich eine Fehde ausgetragen, nur dem Zweck
dienen, sich billig von der Herausforderung zu entlasten, Geschriebenes
erst zu lesen? Erst richtig und vollständig zu lesen? Wie einfach ist es
stattdessen, den Überbringer der schlechten Nachricht anzuklagen!
Über
einen von einigen Kritikern erhobenen Vorwurf habe ich wirklich immer
wieder staunen müssen: Dieser Blog bewirke eine Spaltung innerhalb der
deutschen Schulkritik. Seltsamer Vorwurf! Wer – auch auf diesem Blog! –
die Vorgeschichte rund um die GHEC gelesen hat, wird einen solchen
Vorwurf gewiß nicht aufrechterhalten können! Mir wäre nicht in den Sinn
gekommen, den GHEC-Veranstaltern diese Spaltungstendenzen vorzuwerfen,
obwohl gerade sie einen Keil geschlagen haben zwischen denen, die ihnen
und ihrer „elternfreundlichen Linie“ genehm sind – und den anderen, die
unerwünscht waren; unerwünscht womöglich auch deshalb, weil jene
anderen, zu denen ich gehöre, allzu deutlich auf die realen Gefahren
hingewiesen haben, die langfristig von dieser GHEC ausgingen und
ausgehen. Was hat es also auf sich mit den Vorwürfen der „Spaltung“?
Soll durch Vorwürfe vielleicht die Weigerung kaschiert werden, sich mit
den Konsequenzen der GHEC oder mit den Positionen ihrer Kritiker
auseinanderzusetzen? Soll wer sich weigert, unmöglichen und gefährlichen
Parolen zu folgen und stattdessen für einen radikalen und konstruktiven
Ansatz und Weg engagiert, angeprangert werden: als Spalter? als
Träumer? als den schrecklichen Realitäten des deutschen Schulzwangs
abgehobener Utopist? als bloßer Theoretiker? Auf derartige Einwürfe will
ich lediglich, auch wiederum auf Grund meiner Erfahrungen, erwidern:
Weder durch solche Empörung oder durch Vorwürfe noch durch ideologische
oder religiöse Parolen wird sich der widersinnige, tragische und
allenthalben beklagte Schulanwesenheitszwang überwinden lassen... Nein,
statt Luftblasen und unhaltbarer Versprechungen sind hierfür klare
Erkenntnisse notwendig: Wissen; klares Wissen!
Ein anderer Vorwurf,
der gegen diesen Blog und seine Autorinnen und Autoren erhoben wurde,
veranlaßt mich hingegen zu einer Stellungnahme. Diese Erörterungen seien
abgehoben, zu theoretisch, zu weit entfernt von der Wirklichkeit, mit
welcher Mütter und Väter konfrontiert seien... Zunächst: Eine der von
mir bewunderten Persönlichkeiten sagte mir einmal, es gebe nichts
praktischeres als eine gute Theorie. Theorie, vom griechischen
Wortursprung her das Beschauen, scheint mir kein beleidigender Vorwurf!
Ich möchte versuchen, die Relevanz der Theorie an einem Beispiel
darzustellen, welches – wie zumeist herangezogene Beispiele! – nie so
exakt trifft, aber hoffentlich das Gemeinte andeutet.
Ich kann
durchaus verstehen, daß Menschen, die an einer – beispielsweise viralen –
Erkrankung leiden, alles unternehmen, um diese Krankheit zu besiegen.
In unserer Zivilisation hat dieses Verfahren durchaus Tradition, sollte
seit der Suche nach einem Zusammenhang zwischen Krankheit und ihren
möglichen mikrobiellen oder viralen Ursachen das „Böse“ bekämpft werden.
Würde nun eine Mutter oder ein Vater sich angesichts einer Krankheit
ihres/seines Nachwuchses weigern, etwa Antibiotika zu verabreichen, sie
oder er könnte eines grob fahrlässigen Verhaltens bezichtigt werden.
Stimmt nun der Vorwurf, wonach die Person, die den Kampf, etwa mit
Antibiotika, ablehnt, sich nicht zivilisationsgemäß verhält und sich
außerhalb des Normalen, des scheinbar so Selbstverständlichen
positioniert? Gewiß gibt es – empirisch betrachtet – Gründe, diese
Abnormalität anzuprangern.
Aber: Was Forscher herausgefunden haben,
stellt diese Normalität in Frage: Die Mikroben entwickeln sich
entsprechend den Erfahrungen, die sie im Kampf gegen diese „erleiden“
müssen. Die Erkenntnis der wahrlich folgenreichen Resistenz der
Mikrobenwelt auf die gegen sie eingesetzten Antibiotika hat immerhin zu
einem ersten Umdenken geführt: Inzwischen kann die Wirkung von
Antibiotika als problematisch, vielleicht sogar als völlig
kontraproduktiv betrachtet werden. Was ergibt sich daraus? Nur eine
spürbare Reduzierung ihres Einsatzes? Nein, hier muß eine neue
Gesundheitspflege andere Wege als die konventionelle zivilisatorische
Medizin beschreiten, Wege die statt auf Kampf und Sieg auf einem guten
Gleichgewicht des Organismus beruhen, insbesondere auf einer Stärkung
der natürlichen Abwehrkräfte und einer Potenzierung der Lebensdynamik
eines jeden Menschen.
Wo ist jetzt der Zusammenhang mit der
Fragestellung „GHEC-Kritik“? Jene, die womöglich für sich beanspruchen,
in der konkreten Situation zu sein, daß ihre Töchter oder Söhne keine
Schule besuchen wollten, rufen nach konkreten Antworten. Das von manchen
als der geeignete Ersatz zur Schule dargestellte „homeschooling“
scheint vielen das Anzustrebende. Was jene nun als „konkret“ und
„praktisch“ darstellen, ist und bleibt in mehrfacher Hinsicht eine
Sackgasse – die ihnen spätestens vor und von den deutschen Gerichten
erneut bescheinigt wird! Im übrigen aus gutem Grunde... Wer sich also
nicht auf den konkreten Alltag eines Kampfes gegen die (Schul-)Behörden
beruft, wird vielleicht die Chance anderer und origineller Wege
erkennen, die auch noch weitaus mehr dem Leben und dem Menschen
entspringen und entsprechen, als das künstliche Gebilde
„homeschooling“... Ich gebe zu: Oftmals könnte der an der konkreten
Front gegen den gewaltigen Staat und seine Behörden geführte Kampf dazu
verführen, die Theoretiker ob ihrer Abgehobenheit vom angeblichen Alltag
zu kritisieren. Leider, so mußte ich bisher feststellen, bewirkt dieser
Kampf leider kaum anderes als Antibiotika: Dem kurzfristigen
scheinbaren Erfolg folgt alsbald die Ernüchterung, die
Beschulungsideologie habe neue „Mutationen“ erfahren und komme nun in
neuer Gestalt tiefer und gefährlicher verankert daher. (Selbst wenn der
Staat bereit wäre, „homeschooling“ als Ersatz zur Schule anzuerkennen
und zuzulassen, würde es sich selbstverständlich um nichts anderes als
eine systemimmanente Mutation handeln: eben um eine Schule!)
Wollen
wir solch vorhersehbar kontraproduktiven Entwicklungen entgegenwirken,
bleibt uns nichts anderes übrig, als über die Praxis, über den Alltag,
über die Wirklichkeit hinaus anderes zu konzipieren. Etwa sich für das
Selbstverständnis einsetzen, daß jeder Mensch selbstverständlich frei
sich bilden kann – und will. Weshalb sollte diese Chance zu theoretisch
sein? Doch wem diese Gratwanderung zu theoretisch erscheint, dem wird
wahrscheinlich nichts anderes verbleiben, als – gewollt oder nicht;
kurz- oder langfristig! – sich normenkonform zu verhalten:
beispielsweise innerhalb der Beschulungsideologie!
* * *
Es könnte
sein, daß diese unheimliche „Conference“ ihr Gutes hatte, indem sie
vielleicht eine klare Unterscheidung ermöglichen wird: Auf der einen
Seite mag es jene geben, die – allzu pauschal dargestellt! – aus einem
sozusagen pathologischen Bedürfnis nach „Massen-Identifikation“ sich mit
anderen verbünden und irgendwie agitieren und polemisieren
müssen/wollen. Auf der anderen Seite könnten jene angeführt werden,
denen es auf der Grundlage ethischer Grundsätze um das Eigentliche und
Wesentliche geht, nämlich um das Überwinden des deutschen
Schulanwesenheitszwangs. Nun, just diese Menschen, die aus einem
sachlich begründeten Anliegen und Ansinnen heraus endlich wieder
wirklich in der Sache selbst aktiv sein und sich kreativ einbringen
wollen, sollten dazu ermuntert werden, auf der Grundlage der triftigen
und richtigen Fragen entsprechend konstruktive Schritte zu finden und
auch tatsächlich, tatkräftig zu gehen. Hierbei sollten diese Menschen
nicht glauben, daß sie alleine und im Stich gelassen seien: Immer mehr
Menschen erkennen in der Freiheit der Person, sich zu bilden, eine
zentrale ethische Frage, ein lebenswichtiges, ja überlebenswichtiges
Ansinnen.
Setzt dieses innovative Abenteuer des Lebens und das
Ermöglichen des Prospektiven eine bestimmte Bereitschaft voraus? Ja: den
Ausbruch aus dem „billigen“, vorurteilsvollen Verurteilen oder aus
allerlei Unterstellungen; und den Ausbruch aus der Illusion, die in
Bewegung gesetzten, gehetzten Massen oder gar die Massenmedien könnten
etwas bewirken; einzig und allein, so glaube ich, beginnt meine
Bereitschaft, mich für eine Befreiung und eine Freiheit der Bildung
einzusetzen, mit dem Wissen, das auch durch wirkliches Lesen jedem
Menschen offen steht.
Daher möchte ich, nachdem die möglichen
GHEC-bedingten Wunden und Enttäuschungen überwunden wurden, jenen, die
auf der Gratwanderung zum Grundrecht, frei sich zu bilden, mit ihren
ebenso lebendigen wie originellen Ideen zusammenwirken und Weggefährte
sein möchten, nur freudig zurufen: herzlich willkommen, nur zu! Hierzu
könnte, so meine Hoffnung, diese Plattform wie eine Brücke sein, welche
vom Ufer des obsoleten Schulanwesenheitszwangs (und von der angeblichen
Freiheit zu einer familiären Erziehung und Bildung!) hinüberführt zum
Ufer der Selbstbestimmtheit, Würde und Kompetenz des Menschen...
Bertrand Stern
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